Mittwoch, 06.06.2012: Libyen

Zweiter Versuch nach Tunis

Am Flughafen angekommen, habe ich am Schalter mein vorgebuchtes Ticket nach Tunis gekauft und war ab da in einer Gruppe mit Barbara und Raphael unterwegs. Kurze Zeit später kamen alle anderen auch zu unserem Schalter – Ihr Flug wurde allerdings gecancelt und noch auf unseren Flug über Benghazi umzubuchen, hat auch nicht funktioniert. Nach sehr vielen Diskussionen mit dem BKA, hatten sich jetzt auch alle anderen entschlossen den Landweg zu nehmen und in Djerba auf uns zu warten. Mit gepanzerten Fahrzeugen, Personenschutz, dem libyschen Protokoll und VertreterInnen der deutschen Botschaft, fuhren sie unter Polizeischutz an die Grenze nach Tunesien.

Als sich unser Flugzeug am Mittwoch Morgen mit rund 1,5 Stunden Verspätung auf den Weg nach Benghazi aufmachte, war es schon ausgeschlossen, dass wir den Anschlussflug von Benghazi nach Tunis bekommen würden.

In Benghazi mussten wir also so schnell wie möglich am Flughafen nachfragen, wann der nächste Flug nach Tunis geht, um dort noch einen Platz zu bekommen. Leider war der komplette Flughafen nur in arabischer Sprache ausgeschildert. Wir haben deshalb einen, wie sich danach herausstellte, sehr bekannten Milizenführer angesprochen, der uns bis zum Start der Maschine zur Seite stand und uns geholfen hat nach Tunis zu kommen. Die Fluggesellschaft africia hatte nur folgendes Angebot für uns: 4 Tage Benghazi oder einen Flug nach Tripolis für den Nachmittag (den wir für kurze Zeit sogar unabsichtlich besessen hatten). Wir sind, nachdem ein Mitarbeiter einer anderen Fluggesellschaft unser Gespräch mit africia mitbekommen hat, mit einer Maschine für Krankentransporte von Buraq Air geflogen, die Verletzte nach Tunis gebracht hat.

Ankunft in Tunis

Gleich nach unserer Ankunft gegen 16 Uhr sind wir sofort von Herrn Freudenhammer, einem Mitarbeiter der deutschen Botschaft, empfangen und abgeholt worden und im Auto über das neue Programm, bzw. was von dem alten Programm übrig geblieben war, informiert wurden:

Treffen mit Francois Crépeau

Francois Crépeau ist Berichterstatter für Menschenrechte von Migranten und beschäftigt sich derzeit speziell mit zwei Grenzen und der Lage der Menschenrechte vor Ort, Italien-Tunesien und Griechenland-Türkei. Es gibt immer noch sehr viele Probleme an diesen Grenzen und kaum Informationsfluss zwischen den Ländern, in denen die Probleme vorherrschen. Frontex ist dabei eine der größten Probleme, besonders der fehlende Kommunikationsweg zu dieser Agentur. Leider war das Treffen viel zu kurz und man konnte sich nur knapp und bündig über die wichtigsten Informationen unterhalten, aber es bleibt als Fazit festzuhalten, dass es kaum Austausch zwischen Grenzregionen, Menschenrechtsorganisationen und EU gibt bzw. es dringend notwendig ist, diese auf- und auszubauen.

Der Termin mit Samir Dilou, Minister für Menschenrechte und transitionelle Justiz sowie Regierungssprecher, ist leider ausgefallen, da Herr Dilou auf der Strecke nach Tunis aufgehalten wurde und somit zu diesem Termin nicht rechtzeitig kommen konnte. Auf dem Weg zurück ins Hotel habe ich die Botschaft nochmal gebeten, Lina Mhenni, mit der ich schon vor ein paar Wochen in Deutschland Kontakt aufgenommen hatte und die ich unbedingt treffen wollte, zu erreichen, und zu fragen, ob sie evtl. noch Lust hat, sich mit mir Nachmittags kurz zu treffen. Im Hotel angekommen, erhielt ich die Antwort, dass Lina Ben Mhenni Zeit für mich hatte und gegen 18 Uhr im Hotel sein wird.

Treffen mit Lina Mhenni, Bloggerin und Aktivistin

Lina Mhenni ist einer der bekanntesten BloggerInnen in Tunesien und feministische Aktivistin im Netz und auf den Straßen (Lesetipp: www.atunisiangirl.blogspot.de/). Eine Mitarbeiterin der Botschaft hatte mir im Vorfeld erzählt, dass Lina dem derzeitigen Aussenminister Westerwelle schon dreimal kurzfristig abgesagt hat. :-)

Lina erzählte mir von der Revolution und wie es jetzt in Tunesien aussieht. Gewaltbereite Salafisten schmeißen Molotov-Cocktails in Bars, in denen junge Menschen sitzen, die ein modernes freies Leben führen. Die Islamisten (Ennahda), die in Tunesien die stärkste Partei im Parlament sind, haben immer noch in Teilen die Kontrolle über Presse und Justiz. So werden beispielsweise gerade kritische JournalistInnen verklagt, eingesperrt und das Filmmaterial sowie die Kameras zerstört.

Lina war eine der AktivistInnen, die junge Menschen dazu aufgerufen hat, nicht wählen zu gehen, woraufhin Tausende junge Menschen die Wahlen verweigerten. Ihre Einstellung dazu ist, dass die Islamisten, egal welche Kleinigkeiten sie in den Gesetzen für mehr Freiheit und Gleichheit ändern wollen, im Ganzen nicht für eine freie und gleiche Gesellschaft kämpfen. Die Konsequenz daraus für Lina und viele tunesische AktivistInnen ist, dass das System nach der Revolution abzulehnen ist und auf einen zweite Revolution gehofft bzw. dafür zu kämpfen ist.

Lina sagt, dass nach der Wahl und dem großen Gewinn der Ennadha-Partei, Tunesien einen Schritt in seiner Entwicklung zurück gegangen ist und sich nicht zu einem modernen Staat entwickeln wird.

Nach dieser sehr interessanten Diskussion haben wir noch etwas länger über einen möglichen Austausch mit der Grünen Jugend unterhalten. Ob es ein Informationsaustausch übers Netz und HP wird, oder ein richtiger Austausch mit Besuch von der Grünen Jugend in Tunis und ein Besuch junger AktivistInnen in Berlin, ist noch offen und wird derzeit geplant.

Da Lina zur Zeit, als ich sie getroffen habe, im Hungerstreik war und selbst auch krank ist, konnte sie sich nicht sehr lange mit mir treffen. Nach einer Stunde haben wir uns verabschiedet, mit dem Versprechen, weiterhin in Kontakt zu bleiben. Lina will mir beim nächsten Mal Organisationen mit jungen Menschen zeigen, die auch Interesse an einem Austausch haben. Nach ungefähr 20 Minuten Ruhezeit, wurden wir vor dem Hotel abgeholt und zum Abendessen gebracht.

Abendessen mit Botschafter Kerll und Abgeordneten

Beim Abendessen auf der Terrasse eines sehr schönen Resturants, wurden wir von dem deutschen Botschafter in Tunesien begrüßt und trafen dort drei Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung Tunesiens: Nadia Châabane, von der Partei Democratic Modernist Pole, Maya Jribi, Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung und Generalsekretärin der Republican Party sowie Mehrezia Labidi-Maiza, Vize-Präsidentin der verfassungsgebenden Versammlung von der Partei Ennahda.

Nadia Châabane erzählte mir, dass sie selbst aus Frankreich kommt, jedoch zwei Pässe besitzt. Ihre Mutter kommt aus einer kommunistischen, feministischen Bewegung und prägte sie sehr. Frau Châabane wurde in Frankreich auf einer tunesischen Liste gewählt, da viele TunesierInnen in Frankreich leben. Mit Frau Châabane habe ich mich mit Abstand am längsten unterhalten können, da die anderen beiden Frauen beim Essen zu weit weg saßen. Ich glaube aber, dass die Sitzordnung für meine Anliegen trotzdem am besten war. Wir haben uns noch ein wenig darüber unterhalten, was Lina mir zuvor erzählt hatte. Frau Châabane bedauerte den Aufruf nicht wählen zu gehen sehr, wenngleich sie die Bedenken von Lina grundsätzlich teilt. Frau Châabane wird mir außerdem Kontakte zu Organisationen vermitteln, die zur Grünen Jugend passen.

Um etwa 24 Uhr haben wir uns auf den Weg zurück zum Hotel gemacht, um den Wecker auf 04:30 Uhr Morgens zu stellen.

Dieser Beitrag wurde unter Frauen & Gender abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>